Drei Schulen - ein Austausch

  "Don't forget - do connect"
26 junge Israelis zu Gast an unserer Schule


Israel: ein facettenreiches Land mit vielen unterschiedlichen Gesichtern - und doch dürfte in den Köpfen der meisten Deutschen, auch wenn oder gerade wenn sie eifrige Zeitungsleser oder Fernsehzuschauer sind, eigentlich nur ein Eindruck vorherrschen: Israel - ein Land voller Terror und Gewalt! "Mein Gott, wie schrecklich! Leben die Israelis nicht in ständiger Angst? Können Jugendliche und Kinder dort überhaupt unbeschwert und glücklich aufwachsen oder sind sie alle verängstigt oder traumatisiert?"
Dank des Schüleraustausches zwischen Deutschland und Israel, den es an unseren Schulen mittlerweile schon 15 Jahre gibt, hatten 26 Schüler des Welfen-Gymnasiums und des Gymnasiums Weingarten die Möglichkeit und das Glück, unseren Partnern, den Jugendlichen aus Israel, aus dieser uns meist völlig fremden Welt, näher zu kommen, mit ihnen zu sprechen, ihre Probleme kennen zu lernen, Spaß zu haben, Ausflüge zu erleben, den Alltag gemeinsam zu gestalten - und so konnten wir einfach mehr über Israel bzw. über die Menschen dort erfahren als nur über die meist sehr einseitige Berichterstattung in den Medien.
Natürlich ist es richtig, dass eines der vielen Gesichter Israels ein eher weinendes Gesicht ist. Es ist unbestreitbar, dass der Terror Teil des Lebens dort ist, dass die Menschen täglich neu lernen müssen mit der Angst im Nacken umzugehen. Dennoch steht eines fest: Auch in Israel gibt es einen friedlichen Alltag jenseits des Terrors. Trotz aller Bedrohung können unsere israelischen Partner in Nahariya ein relativ unbeschwertes Leben führen, wie sie uns immer wieder versicherten: "Ja, natürlich können wir abends weggehen und wir haben ein ganz normales Leben - auch in Israel."
Als wir am Freitag, den 10.9.05 mit dem Bus zum Flughafen Zürich aufbrachen, um unsere Gäste abzuholen, waren wir alle etwas angespannt. Keiner wusste so recht, wie das erste Zusammentreffen verlaufen würde, auch wenn wir uns von vielen E-Mails her schon ganz gut kannten. Was würde uns erwarten? Was sollten die ersten Worte sein? Wie würde die Begrüßung aussehen? Würden wir uns mit unseren Partnern verstehen? - Ich persönlich erwartete eine eher zurückhaltende und müde Gruppe junger Israelis anzutreffen, vielleicht noch etwas eingeschüchtert durch die fremde Welt, in der sie nach der fünfstündigen Anreise zum Flughafen Ben Gurion und nach vier Stunden Flugzeit gelandet waren.
Doch weit gefehlt: Schon kurz nach der Ankunft, nachdem die anfängliche Hemmschwelle überwunden war, ging es im Bus drunter und drüber. Begeistert von der grünen Landschaft in Deutschland, kam von unseren Partnern schon relativ schnell die Frage, was wir denn für den bevorstehenden Abend geplant hätten. Unsere israelischen Gäste steckten voller beneidenswerter Energie. Wenn uns an den folgenden Tagen auf der Heimfahrt von den anstrengenden Tagesausflügen leicht mal die Augen zufielen, praktizierten die Israelis laute singende Klatschspiele. Von Müdigkeit keine Spur!
Abgesehen davon, dass manche unserer Mütter einige Probleme mit der koscheren Küche hatten, gab es kaum ernsthafte Schwierigkeiten; unsere Gäste lebten sich schnell hier ein, und das Vertrauen und die Freundschaft zwischen den Partnern wuchs stetig an. Gemeinsame Ausflüge, von denen jeder ein Erlebnis für sich war (und dies nicht nur für die Israelis!), abendliche Feste mit der ganzen Gruppe und vor allem das Zusammenleben in der Familie, das tagtägliche morgendliche gemeinsame Aufstehen in aller Frühe machten die Israelis bald zu einem festen Bestandteil unsres Alltags.
Das Programm bot jeden Tag Neues und Spannendes. Zu den Höhepunkten, auch im wörtlichen Sinne, zählte sicher auch der gemeinsame Ausflug beider Gruppen zum Säntis, dem sogenannten "Hausberg" von Ravensburg. Auch wenn uns der sicherlich traumhafte Blick vom Gipfel, aus 2500 Metern Höhe, leider durch den Nebel verwehrt wurde, war der Ausflug dennoch ein voller Erfolg. Denn das anschließende Sommer-Rodeln im schweizerischen Jakobsbad war für die meisten von uns etwas völlig Neues und Aufregendes, und trotz weicher Knie bei der ersten Talfahrt befanden wir uns nach der dritten Abfahrt zweifellos im Rausch der Geschwindigkeit und hätten uns am liebsten noch unzählige weitere Male in die waghalsigen Kurven gelegt.
Doch es sollte nicht nur der Spaß-Faktor eine Rolle in unserer Begegnung spielen. Von Anfang an war ein gemeinsamer Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau vorgesehen. Ich denke, ich war nicht die einzige, die bei diesem Gedanken ein etwas mulmiges Gefühl hatte und diese Ausfahrt zunächst verdrängte aus Angst vor den Reaktionen der Israelis. Doch ist die Vergangenheitsbewältigung für Israelis wie für uns Deutsche ein wichtiges Motiv für diesen Austausch.
Und dann in Dachau: Ein anrührender, aber zugleich auch ein verstörender Anblick: Junge Juden aus Israel inmitten eines deutschen Konzentrationslagers, demonstrativ die blau-weiße Fahne Israels mit sich führend, in ständiger Begleitung ihrer deutschen Austauschpartner. Manchen von uns beschäftigte die Frage: Werden wir uns nach diesem Gang durch das Lager als Fremde gegenüberstehen? Werden uns diese schrecklichen Bilder, Texte, Orte und Wahrheiten voneinander entfremden? Natürlich war allen Teilnehmern klar, dass uns junge Leute, unsere Generation keine Schuld an den Verbrechen der Vergangenheit trifft. Wir fühlten uns auch nicht schuldig, waren aber unsicher und geschockt. Umso schöner war das Gefühl, von einer Israelin in den Arm genommen zu werden, wenn einem die Nerven angesichts der schrecklichen Bilder versagten. Solch einen grausamen Ort gemeinsam mit Israelis zu besuchen, diesen enormen Nervendruck, das Extrem der Gefühle gemeinsam durchzustehen schafft letztendlich die Basis für eine gemeinsame Zukunft und ein wunderschönes Zusammengehörigkeitsgefühl, das uns keiner mehr nehmen kann.
Wir machten dem Motto unseres Austauschs alle Ehre!

Don't forget - Do connect!

Denn genau das taten wir!


Ann-Cathrin Buck